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Restaurantkritik  8.August 2016

Flieg, auf nach Zürich!

Je nach Interessen und Lebenswandel denkt man bei Zürich wahlweise an "teuerste Stadt der Welt" oder an Banken, an die Fifa oder an den legendären Drogenkiez vom Platzspitz. Nur an große Küche dachte man bislang eher weniger. Natürlich, es gibt ein paar einfach besternte, teils durchaus empfehlenswerte Restaurants. Aber seit dem Weggang von Markus G. Lindner aus dem damals zweifach besternten Mesa war Heiko Nieder im Dolder Grand der einzige Chef von höherem Rang. Basel und der Großraum Lausanne sind da besser aufgestellt.

Das scheint sich nun zu ändern. Seit letztem Dezember ist ein neuer Player in der Stadt: Rolf Fliegauf. Wie so mancher hoch dekorierte Koch in der Schweiz ist er Deutscher. Der 35-jährige Chef kommt aus der Wohlfahrt-Schmiede und führt seit 2007 das Ecco im Hotel Giardino in Ascona am Lago Maggiore. Seit 2011 hat das Restaurant zwei Sterne. Im Winter, wenn am See Flaute herrscht, zieht der Küchenchef mit seinem gesamten Team in die Alpen um, ins Ecco St. Moritz. Seit 2012 leuchten auch dort zwei Sterne. Wir fanden dieses Wechselspiel zwischen Berg und See schon immer beeindruckend, haben es aber leider nie ins Tessin oder ins Oberengadin geschafft.

Umso glücklicher für uns, dass die Giardino-Hotelgruppe Ende 2015 ein Haus in Zürich eröffnet hat, das mondäne 'Atlantis by Giardino'. Und folgerichtig gibt es auch dort ein Ecco-Restaurant. Die konzeptionelle Gestaltung liegt bei Fliegauf, aber für die alltägliche Küchenleitung (und folglich auch einen guten Teil des Inputs) ist sein vormaliger Souschef Stefan Heilemann verantwortlich.

Das Restaurant ist für seine relativ wenigen Plätze angenehm großzügig bemessen. Auch die insgesamt sehr helle Farbgestaltung gefällt uns gut. Trotzdem strahlt das Ganze auch eine etwas kühle Eleganz aus und wird die Aura eines "Luxushotel-Restaurants" nicht ganz los. Im Angebot sind zwei Menüs zwischen 3 und 8 Gängen. Wir wählen die goldene Mitte und entscheiden uns für 5 jeweils unterschiedliche Gänge.

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Zum Aperitif gibt es als Fingerfood Muscheln mit essbarer Schale und Algentapioka, Rindercannelloni mit Senf und Gartenkresse und ein Kartoffelröllchen mit Sour Cream und Röstzwiebeln. Das ist alles ziemlich gut. Vor allem die Rollen von Rind und  Kartoffeln gefallen wegen ihrer kräftigen, dabei aber elegant abgeschmeckten Geschmacksbilder.

Ganz hervorragend ist die knusprige Hühnerhaut mit Innereiencrème und getrocknetem Eigelb. Die superkrosse Haut mutet aromatisch wie ein Konzentrat reinsten Hühnergeschmacks an – als hätte man von einem Dutzend der legendär knusprigen Wienerwald-Hähnchen die Haut genommen und den Geschmack auf wenigen Quadratzentimetern verdichtet. Die Innereiencrème gibt einen Zusatzkick, das Eigelb bringt etwas Weichheit und der Schnittlauch eine feine Schärfe. Wunderbar.

Das Amuse besteht aus Brüggli-Lachsforelle mit Auster, Gurke und Dill.  Der klassische Dreiklang aus buttrigem Fisch, Gurke und Dill wird hier makellos durchgespielt, mit einer willkommenen Konzentration auf das Hauptprodukt. Sogar die Auster wirkt da wenn nicht störend, so doch zumindest überflüssig. Egal, denn es schmeckt auch so exzellent.

Das Menü startet mit marinierter Entenleber mit grünem Apfel und Cerealien. Zugegeben, wir sind keine großen Fans von Foie-gras-Terrine, sie ist uns oft zu schwer und zu plump. Hier bekommt sie dank des Apfels in Form von etwas Essig und eines Suds eine sommerliche Frische und eine gewisse Leichtigkeit. Das Getreideknusper bildet einen originellen geschmacklichen Gegenpol und bringt Textur ein. Alles in allem eine schöne Idee, solide umgesetzt, aber nichts, was uns begeistert.

Die Verbindung von Jakobsmuschel mit Kohlrabi und Haselnuss klingt spannend, erweist sich aber auf dem Teller als nicht ganz geglückt: Der milde Kohl und die milde Muschel harmonieren zwar bestens, aber diese Harmonie wird durch die allzu dominante Aromatik der Haselnuss aus der Balance gebracht. Ohne die Nuss wiederum wirkt das Ganze etwas blass. Irgendwo versteckt sich auf diesem Teller eine gute Idee, man müsste sie nur herausarbeiten.

Der Kaisergranat mit Blumenkohl und Mumbai-Curry ist eine angenehm puristische Kreation, bei der die Küche – ähnlich wie bei der Lachsforelle – mit einem vertrauten Dreiklang spielt: Krustentier, Blumenkohl und Curryfond gehen einfach perfekt zusammen. Hier ist es nicht anders, es schmeckt sehr schön süffig und würzig, changierend zwischen leichter Süße vom Kohl und gut dosierter Schärfe beim Curry. Allein die als halbiertes Kohlröschen getarnte Blumenenkohlcrème hätten wir nicht gebraucht – lieber wäre uns noch ein Stück vom gerösteten Kohl gewesen. Dessen ungeachtet bleibt es ein exzellentes Gericht.

Nicht so stimmig finden wir das Bio-Eigelb „Carbonara" mit weißem Alba-Trüffel. Es hakt an den Proportionen: Speck, Spinat, Knusperelemente und Trüffel stehen sich durch die ungünstigen Mengenverhältnisse gegenseitig im Weg. Und es hakt am Garpunkt: Das im Zentrum liegende Bio-Eigelb ist zu weit gegart und also nicht mehr richtig flüssig. Genau das aber wäre nötig, um eine Brücke zwischen den diversen Komponenten zu schlagen. Schade.

Deutlich besser gefällt uns die Atlantik-Rotbarbe mit Artischocke und Seeigel. Hier zeigt sich, wie einfach es doch sein kann: Ein Stück Rotbarbe von sehr guter Qualität, eine kräftige Seeigelsauce und eine spannungsreiche, aber nicht überspannte Artischockenvariation – fertig ist ein Fischgericht, das die Definition von "mediterran" in Reinform darstellt. Vor allem die Artischocken begeistern uns. Wir sind bekanntlich große Fans dieses Gemüses, und hier haben wir eine nachgerade großartige Variation vor uns: angebraten, als hauchdünn aufgeschnittener, säuerlich marinierter Salat und als Crème. Fast, nur fast, kämen wir da direkt ohne Fisch aus.

Hauptgang Nummer Eins besteht aus Luma-Kalb, Petersilie und Salzzitrone. "Luma" bezeichnet einen kleinen Schweizer Produzenten, der das Fleisch von Rind und Kalb in einer Hülle aus Edelschimmel über Wochen am Knochen reifen lässt. Diese Methode sorgt nicht nur für eine mürbe Textur, das Fleisch entwickelt durch die Reifung auch einen kräftigen Eigengeschmack. So auch hier: Das Kalb hat verblüffender Weise genug Power, um sich gegen die intensiven Beigaben zu behaupten. Vor allem der Salzzitronen-Jus macht geradezu süchtig. Das gehobelte Kalbsherz hätte es für uns nicht gebraucht, da wir hier keinen Mehrwert erschmecken. Dafür freuen wir uns über ein Stückchen von köstlichem Bries. Auch dies in Summe wieder ein Gang, der zeigt, wie stimmig gerade reduziert gehaltene Kreationen sein können.

Als alternativer Hauptgang kommt Tiroler Rehrücken mit Topinambur und Rotkohljus auf den Tisch. Das schmeckt alles sehr gut, aber im Direktvergleich mit dem Kalb kann dieser Teller nur verlieren. Das Fleisch ist über jeden Zweifel erhaben und überrascht mit einem deutlichen Wildgeschmack (heutzutage leider nicht die Regel). Aber der Jus sowie die Kruste auf dem Fleisch sind auf Dauer – bei aller Güte – ein bisschen zu sehr auf der süßlichen Seite. Und Topinambur, speziell als Chip, mausert sich allmählich zu einem Produkt, das wir einfach nicht mehr sehen können. Dieses Gericht schmeckt gut, keine Frage, aber auch relativ konventionell.

Anstelle eines Käsewagens gibt es eine kleine Variation. Käse aus dem "Jumi Versum" bedeutet im Klarext: vier Käsesorten mit passenden Beigaben. Was das im Einzelnen war, können wir nicht mehr sagen, aber wirklich funktioniert hat die Idee für uns nicht. Die Käse selbst sind gleichwohl so gut, dass sie einfach für sich stehen könnten.

Das Pré-Dessert besteht aus Spekulatius, Ingwer und Orange. Das ist wunderbar erfrischend, fruchtig, leicht scharf vom Ingwer und leicht würzig vom Spekulatius. Sehr gelungen.

Das eigentliche Dessert verbindet Dulcey-Schokolade, Birne und Sauerampfer. Eine begeisternde Kreation, auch weil sie nicht zu süß ist, aber dennoch stets als Dessert erkennbar bleibt. Birne und weiße Schokolade haben eine ähnliche Eleganz und gehen an unserem Gaumen viel besser zusammen, als Birne und dunkle Schokolade. Hier werden sie in verschiedenen Formen zusammengebracht, ohne dass es forciert kreativ wirkt. Das i-Tüpfelchen bildet das Sauerampfer-Granita mit seiner herben Frische. Hervorragend.

Nicht so gut gefällt uns Mandarine mit Kaffeeschokolade und Sauerklee. Auf einer relativ dichten Schoko-Ganache sind Bruchstücke einer Art getrockneter Mousse von Kaffeeschokolade und ein Sauerklee-Eis angerichtet, obenauf ein bittersüßes Mandarinen-Granita. Die Verbindung von Kaffee und Schokolade wirkt einerseits komplex, aber auch mächtig, speziell in Kombination mit der heftigen Ganache. Mandarine und Sauerklee brechen das Ganze etwas auf, aber ohne dass sich dabei ein wirklich harmonisches Zusammenspiel ergibt. Wir haben eher den Eindruck, dass die dunklen und hellen Komponenten gegeneinander antreten. "Interessant" ist wohl das passendste Adjekjtiv für diese Kreation.

Exzellent dann wieder die Petits Fours: Cassis-Quinoa-Baiser, Bratapfel-Nussbuttereis und Brioche, Ecco-Trüffel, Passionsfruchtpraline.

Wir wussten vor diesem Besuch praktisch nichts über den Küchenstil in den Ecco-Restaurants. Und nach diesem Besuch müssen wir sagen: Er ist in einiger Hinsicht sehr beeindruckend. Die Kreationen des Duos Fliegauf-Heilemann sind weit weniger verspielt und modernistisch, als wir dachten. Vielmehr zeichneten sich die überzeugendsten Gänge unseres Menüs durch eine souveräne Zurückgenommenheit und einen stimmigen Fokus auf wenige Komponenten aus. Als beste Beispiele seien hier der Kaisergranat mit Blumenkohl, die Rotbarbe mit Artischocke und das Kalb mit Salzzitrone genannt. Von Strebertellern oder Pinzettenküche gab es praktisch keine Spur – ein Trend, den wir glücklicherweise immer häufiger erleben. Wir haben zwar nichts gegen kleinteilige Verspieltheit per se, aber man sollte diesen Stil jenen wenigen Köchen überlassen, die ihn wirklich beherrschen. Auf der anderen Seite wirkten manche Gerichte auf uns nicht prononciert genug und zu sehr auf der sicheren Seite. Foie gras mit Apfel, Jakobsmuschel mit Kohlrabi und Nuss oder Reh mit Rotkohl scheinen für die typische, im Zweifel eher konservative Luxushotel-Klientel gemacht. Auf handwerklich sehr hohem Niveau, keine Frage, aber für versierte Esser, wie der Name Fliegauf sie anlockt, zu brav. Anders gesagt dürfte die Küche ruhig ein paar mehr Ecken und Kanten (sprich: Persönlichkeit) haben, um uns vollends zu überzeugen.

Besondere Erwähnung verdient der Service von Mara Theiner (links), Flavia Jung und Restaurant-Manager Stefano Petta, die bei nahezu vollem Restaurant überaus herzlich durch den Abend führten.

Fazit

Im dritten Restaurant der kleinen "Ecco-Kette" lässt Rolf Fliegauf eine souveräne Gourmetküche servieren, die einerseits durch Fokussiertheit glänzt, andererseits aber auch etwas brav anmutet. Mit mehr Mut zum Experiment kann sich hier Großes entwickeln.

Text: Kai Mihm

Weine

Wein im Restaurant Ecco in Zürich

Fressfreunde

The important Stuff

"Für mich die beste Neueröffnung in der Schweiz im Jahr 2015. Tolle Produkte, präzises Handwerk und vor allem phänomenale Saucen. Ein Muss, wenn man in Zürich ist."

Küchenreise

"Aromenstarke Küche, bei unserem Besuch schon kurz nach der Eröffnung bereits auf sehr hohem Niveau; wenn die Gerichte auch noch oft an die Schwesternlokale angelehnt. Das Atlantis-Hotel ist ein wunderschöner Rahmen und ist auch eine Reise wert!"

Das Filet

"Mein erster Besuch ist für ein neues Restaurant schon fast zu lange her (9 Monate), der zweite steht an. Damals überzeugten (mit wenigen Abstrichen) die Produkte, deren Zubereitung und der Geschmack. Etwas gefehlt hat die unverkennbare Handschrift, die aber ein junger Küchenchef wie Stefan Heilemann auch erst entwickeln muss."

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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