Restaurantkritik 12.Februar 2016

Das dynamische Duo

Wie wir unlängst beim Verfassen unseres Berichts über das De Lindehof in Nuenen bei Eindhoven, unserem Herdhelden 2015 in der Rubrik "Internationales Erlebnis des Jahres", feststellten, erfreuen sich die Niederlande satter 20 Zweisterne-Restaurants. Und da gibt es neben den bekannten Fress-Destinationen mit dreifach besternten Restaurants in Zwolle und in Vaasen sowie der Restaurantdichte in der Hauptstadt Amsterdam einiges zu entdecken.

Mit Verleihung des zweiten Sterns im Guide Michelin 2015 tauchte dann auch das Restaurant ‘t Nonnetje im beschaulichen Harderwijk auf unserer kulinarischen Karte des Nachbarlandes auf. Im niederländischen Gault Millau 2016 wurde Küchenchef Michel van der Kroft unlängst zum "Koch des Jahres" gekürt. Das schmale Eckhaus mit seinen niedrigen Decken, den blanken Holztischen und grob verputzten Wänden sieht auf den ersten Blick so gar nicht nach Gourmetrestaurant aus, sondern strahlt eher eine gemütliche Bistro-Atmosphäre aus. Bei schönem Wetter sitzt man draußen am idyllischen Marktplatz, der aufgrund der fischereiwirtschaftlichen Vergangenheit des Ortes Vischmarkt heißt. Mit ihrer Lage am Veluwemeer, woran sich das bekanntere Ijsselmeer anschließt, zieht die Stadt in der Provinz Gelderland Touristen an und hat einen weiteren Vorteil für Reisende in Sachen Essen: Harderwijk liegt nur 40 km südwestlich von Zwolle entfernt – ideal für ein Double-Feature!

Patron Robert-Jan Nijland hat in vielen niederländischen Sternerestaurants im Service gearbeitet, bevor er sich 1998 mit dem Restaurant selbstständig machte. 2004 bis 2006 war das ‘t Nonnetje schon einmal einfach besternt. 2006 stieß der heute 46-jährige Küchenchef Michel van der Kroft hinzu, der zuvor in der Schweiz und den Niederlanden gekocht hatte. Mit ihrem sechsköpfigen Küchenteam gelang es den beiden 2008, den verlorenen Stern zurückzuerobern und 2015 ihre Leistung mit dem zweiten zu krönen. Jetzt sind wir auf die Küche gespannt, die dies möglich machte...

Der Käse-Keks "Schmetterling" mit Parmesan, Artischocken-Crème und Basilikum-Öl gibt noch keinen Aufschluss darüber, wohin die kulinarische Reise gehen wird. Der Happen zum Champagner ist nicht besonders aufregend und wirkt wie ein etwas trockenes Schweineohr.

Die Auster mit Sanddorn, Zitrusfrüchten und salzigen Pflanzen gefällt uns dann besser und ist schon prägnanter. Es schmeckt gut und ist mit diversen Elementen durchaus komplex, wenngleich die bitter-fruchtig-salzige Zubereitung dem Thema Meeresfrucht keine nachhaltig neuen Eindrücke hinzufügt.

Von einem ganz anderen Kaliber ist dann schon die Gazpacho "Nonnetje Style". Hier trifft eine Gazpacho aus grüner Paprika und grünen Tomaten auf ein Sorbet von roter, "originaler" Gazpacho und wird von diversen Variationen von Tomaten und Gurke begleitet. Das vereint alle bekannten Aromen der kalten Suppe und gefällt uns gut – gerade an einem warmen Tag sehr erfrischend. Einzig die platzende Olive ist ein obsoleter Gimmick – das Olivenaroma könnte auch anders transportiert werden.

Ins Menü starten wir dann mit einer Langoustinen-Variation mit Lotus-Wurzel, Pak Choi und grünem Thai-Curry. Das Krustentier wurde knapp gegart und abgeflämmt und taucht zusätzlich als Tatar und hochkonzentriertes Eis auf. Trotz der Intensität und des exotischen Einschlags bleibt die Zubereitung nah am Produkt. Mehr Langoustinen-Aroma auf einem Teller geht eigentlich nicht. Gelungener Auftakt!

Ein Klassiker des Hauses ist die Terrine von der Foie gras mit geräuchertem Aal, Texturen von Roter Bete und 25 Jahre altem Balsamico-Essig. Und das zu Recht, denn bei der äußerst stimmigen Kombination stehen feines Handwerk und ein herrlich herzhafter Geschmack Seite an Seite. Diese Variation eines Lebergerichts begeistert uns mit gezügelter Süße, einer gewissen Kühle und Frische und hält dadurch die Spannung. Der Begriff Signature dish als oft bemühte Floskel hat hier durchaus seine Berechtigung: Zum einen war Harderwijk einst für Aalfischerei und -räucherei gerühmt, zum anderen arbeitete Michel van der Kroft schon als kleiner Junge bei seinem Onkel in der Fisch- und Aalräucherei. Toll.

Recht deftig geht es weiter. Der Knurrhahn auf Sauerteigbrot à la Plancha mit Fregola, Bolognese vom Tintenfisch, Fenchel und Knurrhahn-Sauce mit Fenchelsamen schmeckt sehr natürlich und gerade die Bolognese aus den aromatischen Moscardini ausgesprochen originell und gut. Mit der Intensität der an eine Bouillabaisse angelehnten Sauce und dem Sättigungseffekt der sardischen Nudelspezialität ist dies beileibe keine leichte Vorspeise, sondern hat beinahe Hauptgericht-Charakter. Die Garung auf Sauerteigbrot ist zwar keine Neuerfindung, aber ein Kniff, der dezente Röstaromen ins Spiel bringt und für eine kontrollierte, saftige Garung des Fisches sorgt. Leicht überfrachtet und mächtig, aber in Summe geschmacklich gut.

Schlug die Küche bei den Begleitern der Langoustinen eine leicht südostasiatische und beim Knurrhahn eine mediterrane Richtung ein, geht es beim Carabinero mit Flan des Kopfes, Tabouleh, Kompott von geräucherter Aubergine und Sauerteig-Cracker in den Nahen Osten. Als erstes fällt die äußerst gute Produktqualität der wildgefangenen Tiefseegarnele auf, die mit Melasse lackiert wurde. Der Geschmack des edlen Krustentiers wird durch den Schaum aus dem geschmacksintensiven Kopfinhalt noch weiter getriggert. Als störend empfinden wir bei diesem Gericht die etwas zu kühle Temperierung einiger Elemente sowie problematische Konsistenzen, die sich im Zusammenspiel mit dem Carabineiro ergeben. Wenngleich die kräftige orientalische Einfassung in den Einzelteilen zu gefallen weiß, wäre hier als Begleitung für ein tolles Produkt weniger mehr.

Auch ein Nationalgericht aus der portugiesischen Heimat seiner Ehefrau hat Küchenchef van der Kroft auf Lager: Bacalhau (getrockneter und eingesalzener Stockfisch) mit Spiegelei, schwarzen Oliven, Spinat, Zwiebelkompott und Hollandaise. Geschmacklich hat dieser Gang einen deutlichen niederländischen Einschlag und ist für ein Sternerestaurant in dieser Deftigkeit durchaus ungewöhnlich. So auch für unsere Gaumen: Wir finden es recht salzig und fischig sowie mayonnaisig-üppig. Neben dem Geschmack ist es auch die schiere Menge, die uns am Ende streiken lässt. Als Amuse könnten wir uns dieses Gebilde en miniature besser vorstellen.

Weiter geht die Weltreise Richtung China mit gedämpften Dim Sums vom Iberico-Schwein mit Radieschen, fermentiertem Knoblauch und Brühe von der Peking-Ente. Und wir wollen gar nicht mehr weg beziehungsweise wollen immer mehr von diesem süchtig machenden Stoff haben. Diese kleinen Köstlichkeiten schmecken gleichsam herzhaft und elegant. Das liegt an der hochfeinen Füllung, bei der Fleisch- und Kürbisgeschmack differenzierbar bleiben, und einer expressiven Brühe, die die Sojasauce des kantonesischen Originals genial ersetzt. Auch Radieschenscheiben wirken eleganter als der in Asien gerne verwendete Rettich. Nur beim Dosieren des fermentieren Knoblauchs müssen wir aufpassen, um das austarierte Gesamtbild aus Biss und Aroma nicht zu gefährden. Grandios und eine Götterspeise!

Bei der Präsentation der an der Karkasse gebratenen Anjou-Taube (Brust, Keule, Flügel, Herz und Leber) mit Mais, Spitzkohl, Roter Johannisbeere und Jus aus der Tauben-Keule mit Macis sind wir gleich ganz erwartungsfroh. Und wir werden nicht enttäuscht. Durch die klassische Röstung am Knochen ist das geschmacksstarke Fleisch noch intensiver. 

Die unterschiedlich starke Garung – von der krossen Haut zum saftigen Inneren – eröffnet viel mehr Aroma als ein gleichförmig rosa-gegartes Stück Brust. Hier ist nichts überflüssig auf dem Tauben-Teller, aber es wirkt auch nicht zu reduziert. Ein sehr guter Fleischgang.

All jenen, die immer Angst haben, im Sternerestaurant nicht satt zu werden, hat die Küche offensichtlich Irisches Rind "Rossini" mit Foie gras, Trüffel, Madeirasauce und Ochsenschwanz-Ravioli gewidmet. Der à part gereichte Kopfsalat mit Mayonnaise und Parmesan, geschmacklich einem Caesar Salad ähnlich, nimmt dem aromatisch verdichteten und druckvollen Gericht ein wenig die Schwere. Wir schwelgen in diesem klassischen Gericht, das wir schon lange nicht mehr auf dem Teller hatten. Herrlich!

Nach dem üppigen Abschluss des herzhaften Teils des Menüs irritiert uns "Gingerman" – Foie gras mit Lebkuchen und Apfel-Gel als Pre-Dessert leicht: Schon der Gedanke an mächtige Leber sorgte für weiteres Sättigungsgefühl. Aber wir werfen alle Bedenken und Vernunft über Bord und probieren – gottseidank. Die mit Bronzepuder  (hatten wir uns nicht unlängst über Blattgold echauffiert?) geschminkte Lebercrème und das Eis aus gebratener Gänseleber stehen wie in früheren kulinarischen Zeiten am Ende des Menüs. Eine Position, wo sie den Käsegang ersetzt und bestens hinpasst, weil viele Gänselebergerichte mit ihrer Süße doch einen deutlichen Hauch von Dessert verströmen. Das Ergebnis schmeckt im 't Nonnetje herzhaft bis süß und individuell, weil gerade der Spekulatius dezent als Gewürz eingesetzt wird und nicht weihnachtlich wirkt. Gut.

Als erstes Dessert serviert uns der Service die Tarte au Citron mit Melonen und Portwein. Das ist eine große Portion, und auf dem Teller sind etwas (zu) viele Elemente. Dabei wäre das nicht nötig: Die Tarte – mit etwas üppigem Meringue-Deckel - schmeckt für sich bereits sehr gut. Auch die Einfassung mit dreierlei in Portwein marinierten Melonen und einem Hauch Ingwer gefällt uns. Die Kleinteiligkeit verkompliziert die Sache unnötigerweise.

Erfrischender ist danach das Dessert Exotique: tropische Frucht mit Kräutern, Blumen und Thai-Curry-Eis. Die angenehme Schärfe im exotischen Geschmacksbild wird von den floralen Elementen belebt. Dadurch wirkt der letzte Gang des Menüs willkommen leicht. Sehr schön.

Die Petits Fours inklusive einer am Tisch mit einer Art Brandeisen finalisierten Crème brûlée sind ein kleiner Showact, wobei dieser geschmacklich vollends gelingt.

Das war ein wahrer Parforceritt durch ein spannendes Menü. Wir spürten oder besser: schmeckten jederzeit das souveräne, klassische Fundament, das Michel van der Krofts Handwerk auszeichnet. Alle Gerichte – egal, ob modern interpretiert oder in klassischer Manier zubereitet – haben im 't Nonnetje Hand und Fuß. Die Küche gibt sich damit aber nicht zufrieden – den ambitionierten "Spirit" strahlen der Patron und der Küchenchef auch im Gespräch aus.

Daher rührt denn auch ein gewisser Gestaltungswille bei einer erkennbaren Handschrift, der sich in exotischen Aromen und Tellern widerspiegelt, deren Vielteiligkeit unbedingt Süße, Säure, Salzigkeit und Texturspiele vereinen will. Dieser Überdruck birgt Risiken, die die Küche nicht immer umschiffen kann. So schlug der Drehzahlmesser – etwa bei den Langoustinen – bisweilen schon leicht in den roten Bereich aus. Das bedeutet nicht, dass es nicht schmeckt, es wird mitunter ein Zuviel an Aromen, Kombinationen und Zutaten. Im besten Fall entsteht daraus enorme Spannung, im schlimmsten (aber seltenen) Falle verliert sich alles in Zusammenhanglosigkeit. Auch der Anspruch an edle Optik droht Elemente bei einigen Tellern ins leicht Artifizielle abdriften zu lassen. Etwas mehr Fokussierung und Reduktion würden hier Wunder wirken – denn hervorragend kochen können die Jungs im 't Nonnetje allemal!

Der Service passt zum eingangs erwähnten entspannten Ambiente. Das junge Team geht es locker, aber konzentriert und informiert an. Patron Robert-Jan Nieland (3.v.l.) ist ein sehr präsenter Gastgeber, dem wir Stolz und Begeisterung für sein Restaurant und die Küche von Michel van der Kroft (5.v.l.) anmerken. Sommelier Thijs Erbring (oben) findet für die aromenreiche Küche zumeist die passenden Wein-Pendants und überrascht uns mit filigranen Tropfen. Im Gegensatz zu vielen anderen niederländischen Suffmeistern, die gerne auch auf Südafrika, Chile und Australien zurückgreifen, baut er in seine Weinbegleitung auch einige deutsche Weine ein.

Fazit

Das 't Nonnetje ist eine große Bereicherung für die kulinarische Landkarte: aromenstark, verspielt und passioniert. Die eine oder andere Übertreibung verzeiht man angesichts des Preisniveaus dann gerne.

Wein

Die Weinbegleitung im Het Nonetje in den Niederlanden

NV Ruinart Brut, Reims, Frankreich

2011 Chateau La Roche, Chenin blanc, Touraine, Frankreich

2014 Werther Windisch, Riesling Kabinett, Rheinhessen

2013 Domaine Demoiselles Tatin, Pinot gris, Frankreich

2014 Gies-Duppel, Grauburgunder, Rheingau

2012 Judith Beck, Zweigelt / St. laurent, Burgenland

Rey Fernando, Manzanilla, Sanlucar de Barameda, Spanien

2014 Domaine Michaud, cot/cabernet franc, Touraine, France

2012 Brazin, Zinfandel, Kalifornien

2013 Knewitz, Siegerrebe Spätlese, Rheinhessen

2013 Domaine Delesvaux, Chenin blanc Passerille, Frankreich

NV Domaine Poulet & Fils, Clairette tradition, Frankreich

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Umfrage

Kleiner Grenzverkehr: Wie sehr interessieren Dich Restaurants außerhalb Deiner Heimat?

 

Das könnte dich auch interessieren