Restaurantkritik  6.Januar 2016

ANKER LOS

Während des Berliner Spätsommers kommt es vor, dass sogar wir mal nach unseren Sonnenbrillen kramen, da ein neuer Koch am Hauptstadt-Firmament strahlt: Arne Anker kocht seit einigen Monaten im Pauly Saal und löst damit Michael Höpfl ab. Der brachte dem Restaurant im November 2013 nach siebenmonatiger Schaffensperiode den ersten Stern, was damals so einige Stirne in Falten legte. Denn vielerorts, auch in unserer Community, wurde dem Pauly Saal eine eher blasse Küche nachgesagt, die zwar gut, aber eben nicht für einen Stern gut sei. Auch unserer Meinung nach war die Auszeichnung ein Resultat der um sich greifenden Macaron-Inflation, weshalb wir nun umso gespannter sind, ob das Restaurant in der ehemaligen jüdischen Mädchenschule nach Höpfls Weg- und Ankers Zugang endlich Ruhe im Chefkoch-Wirrwarr findet. Also: Et is schon nach einse. Lass ma rinjehn!

„Rinjehn“ müssen wir korrigieren: „Drinnen“ ist heute „draußen“. Der gemütliche Innen- bzw. Schulhof strahlt im Vergleich zum umgebenden trubeligen Berlin-Mitte eine fast schon zen-artige Ruhe aus: ungezwungen, hell und freundlich, eine kleine Oase zwischen all den Vollbärten im geschäftigen Zentrum der Hauptstadt. Passenderweise frönt der Gast dem Fresssport in der ehemaligen Turnhalle der Schule, die inzwischen zum schönen Speisesaal umfunktioniert wurde und den Blick auf die Tim-und-Struppi-Mondrakete (jaja, das Muster stimmt nicht ganz) und den namensgebenden Kronleuchtern (aus der „Pauly“-Manufaktur) inkludiert. So weit, so gut. Aber was hat sich verändert?  Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Küchenchefs war es, die Á-la-carte-Auswahl zu streichen und nur ein Menü aus bis zu neun Gängen anzubieten, von denen einige Gerichte allerdings Upgrades zulassen. Anker schreibt sich (wie unzählige andere Küchenmeister Berlins) Regio- und Saisonalität auf den Schiffsbug, Gewürze und Kochtechniken dürfen aber weitere Seewege zurückgelegt haben. Bei diesem Thema fragen wir uns nur noch, ob sich denn auch eine Prise der Wunderzutat „Sergio Herman“ in die Kombüse eingeschlichen hat? Bei dem niederländischen Meister im „Oud Sluis“ war Arne Anker nach der Station im „first floor“ tätig und diente im Anschluss im „The Jane“ als Souschef unter Hermans Statthalter Nick Brill. Als ausgesprochene Fans ihrer Küche waren wir nun mehr als gespannt.

Bereits das Amuse strotzt vor Kleinteiligkeit und dekliniert den Fenchel auf schönem Porzellan: Cous-Cous-Salat mit Fenchel, Ponzu und Zitronenpüree gesellen sich zu Grießkügelchen und Joghurt und bieten eine ordentliche Schärfe. Das Fässchen bietet eine erfrischende Variation des Doldenblütlers: roh, als Gelee und als Eis. Ein schöner Auftakt.

Mit Ostsee-Zander, Holunder, Austern und Rettich steigen wir ins eigentliche Menü ein, und hier ist ordentlich was los! Der Zander, leicht gegrillt sowie als geräucherte Mousse in den Cannelloni (auf dem Foto gut hinter einer Radieschenscheibe versteckt) erklingt zwar dezent, aber durchweg präsent am Gaumen. Im anliegenden Kleinteil überzeugen vor allem die Holunderblüten- und die Austern-Crème im Zusammenspiel mit der Rettichvariation; das sorgt für Frische und Bitterkeit im dichten Aromenmeer. Insgesamt ein wunderbarer, wenn auch für einen ungeübten Gast möglicherweise zu komplexer Start. Uns stört das wenig und wir nehmen Haltung an.

Etwas gradliniger geht es mit Tomate, Burrata, Basilikum und Kaffee weiter. Wir sind erfreut, dass sich die Kaffeenote in diesem Gericht nur ganz weit hinten am Gaumen, also sehr spät und somit subtil einbringt. Die Brandenburger Tomaten (als Gelee und Mousse) und der Burrata werden über eine saure Vinaigrette mit Basilikumöl vereint, die Polenta-Chips schaffen Biss. Ein hochgezüchteter „Insalata Caprese“, der hervorragend funktioniert und den wir uns häufiger wünschten.

Bei Süßkartoffel, rote Bete, Kartoffel und Linsen werden die Einzelkomponenten mehrfach und handwerklich eindrucksvoll seziert. So wird die Bete rot und gelb, als Beten-Gel und Würfel aus Rote-Bete-Tofu präsentiert. Das Tom-Kha-Gai-Gelee und der Fond aus Kombu-Algen bringen etwas Asia-Flair, die Linsen-Limonen-Crème setzt deutliche Säureakzente, wie wir es aus der Herman-Küche kennen und lieben – das macht ein 10-Gang-Menü leicht. Jedes Element ist für sich selbst hervorragend gearbeitet und schmackhaft, aber es fehlt uns an kulinarischen Verbindungsbrücken, die alle Einzelaromen zusammen und dem Teller damit homogene Tiefe bringen.

Mit Surf & Turf haben wir oft ein Problem, da die Kombination aus mächtigem Rind und feinen Meeresfrüchten in ein Mischmasch an geschmacklicher Beliebigkeit mündet. Bei Arne Anker funktioniert dieses Gericht jedoch prächtig: Das Hummerstück ist butterzart, und selten erleben wir das dazu gereichte Fleisch – in diesem Fall rohes, drei Monate mariniertes Rinderfilet – so unaufdringlich, aber dennoch aromatisch. Das Trio Infernal, Crème vom Krustentier, Erbsen- und Selleriepüree, ist einwandfrei aufeinander abgestimmt und proportioniert, und wie ein roter Faden ergänzt auch hier eine präsente Säure (in diesem Fall vom Yuzu-Saft) das Gesamtbild, das unsere Vorurteile Bissen für Bissen beseitigt. Richtig gut!

Das amtliche Stück Waller wird erst durch seine Begleiter Wirsing, Koriander und Zwiebel zum Star der Show, die das saftige Stück Wels mit Kimchi und Pak Choi um betont asiatische Aromen ergänzen. Vor allen Dingen die Süffigkeit der Bouillon aus gebrannten Zwiebeln in Verbindung mit dem Grapefruit-Gel (Säure!) sowie der allgegenwärtige, aber nicht erschlagende Wirsinggeschmack lassen Hauptprodukt und Beilagen im äquivalenten Glanz erstrahlen, ohne sich gegenseitig zu torpedieren. Ein beeindruckend durchdachter Teller.

Der Hauptstadt-Barsch mit Paprika, Spinat und Bouillabaisse besteht aus zwei Tellern. À part wird ein Töpfchen serviert, das eine aromatische Kombination enthält aus Krabben, Shrimp-Espuma und Muschel-Kroepoek, die die Süß- und Salzwasserwelt wunderbar verbindet. Der Hauptteller bietet die Bühne für den Barsch mit knuspriger Haut und kräftigem, zarten Fleisch, das sich in diesem Fall den umgebenen und zahlreichen Einzelkomponenten unterordnen muss: Über dem Fisch ein Blini, darüber Spinat, darauf wiederum Aioli-Crème, daneben Paprika-Püree und Kohlrabi in drei Variationen, am Boden die süffige Bouillabaisse. Das überfordert selbst unsere fressgeübten Papillen, sodass wir diesen Gang als gut, aber zu verkopft einstufen.

Die Sonnenstrahlen trügen – es wird draußen langsam kalt. Das wird uns schlagartig bei der herbstlichen Fleischspeise des heutigen Tages bewusst, dem Salzwiesen-Lamm mit Petersilienwurzel, Aubergine und Zucchini. Ein spannendes Gericht, in das wir uns erstmal „reinessen“ müssen, dafür aber belohnt werden: Besonders der süßlich-feine Jus der Lammkeule sowie der präzise gearbeitete Gnocco, mit Lammschulter, Feige und Champignons gefüllt, brillieren am Gaumen, der mit der Marsala-Aubergine noch einen südostasiatischen Umami-Tritt erfährt. Das Fleisch ist von ausgesuchter Qualität und auf den Punkt gebraten. Erfreulich auch, dass die Petersilienwurzel trotz Püree und ganzer Wurzel nicht zu dominant daherkommt. Super!

Den Abschluss machen Blaubeere, Joghurt, weiße Schokolade und Rose. Schön, wie hier sowohl auf Süße- als auch Säureeskapaden verzichtet wird und die wilde Beere im Mittelpunkt stehen darf. Vor allen Dingen das cremige Küchlein am Boden hat eine tolle, schaumige Textur, während Joghurteis, weiße Schokolade (mit Amaranth) und Rosengel dem Hauptprodukt eher zuarbeiten und, richtig dosiert, eine sanfte Akzentverschiebung ins süßlich-saure anregen – ganz ohne geht das dann doch nicht. Ein tolles und unaufgeregtes Dessert!

Hier müssen wir genau hinschauen: In den Petits Fours zum Wachmacher versteckt sich zwischen den eisgekühlten Steinen schelmenhaft das optisch als Chamäleon agierende, aromatische Estragon-Eis. Dazu gesellen sich ein eher zählebiges Macaron sowie Schokoladen-Splitter.

Dem aufmerksamen Leser ist es sicher aufgefallen: In den vorangegangen Absätzen nutzen wir sieben adjektivierte oder gebeugte Formen des Wortes „Säure“. Und damit haben wir ihn, den Einschlag Sergio Hermans – und warum auch nicht? Schließlich hat er eine ganze Kolonie an jungen Köchen und Fressern geprägt. Darum ist es keine Schande, das Erbe seiner Küche in die Welt zu tragen, denn am eigenen Stil, an dem Arne Anker in den nächsten Jahren unbekümmert weiterarbeiten kann, haben sich schon genug junge Köche die Zähne ausgebissen. Blendet man jede Suche nach Einflüssen aus, kann man sagen: Das, was wir heute auf den Tisch bekommen haben, waren hervorragende Gerichte, die von kreativen Einfällen und sorgfältiger Degustation zeugten. Man merkt deutlich, dass sich Arne und sein Küchenteam dezidiert Gedanken um Proportionen, Ausmaße und Aromen machen, bevor ein Gericht den Weg ins Menü findet. An manchen Stellen kommt der Übereifer durch, der das hohe handwerkliche Niveau und Erfindergeist zur Schau stellen will. Wenn sich dieser Ehrgeiz in die Auswahl essentieller Beilagen oder Hauptkomponenten kanalisiert, sehen wir nach oben hin kaum Grenzen in der Entwicklung, die diesem atmosphärisch einzigartigen, ungezwungenen Restaurant einen festen Platz in der kulinarischen Elite der Hauptstadt einräumen kann. Ein (Mädchenschulen-)Hort für alle Ansprüche!

Nicht zu vergessen: Der oberösterreichische Suffmeister mit dem wohl passendsten Nachnamen seiner Zunft, Florian Seufer-Wasserthal, der uns gekonnt und mit einer Prise Wahnsinn durch das Menü und die vielseitige Weinbegleitung führte. Eindrucksvoll auch die Manpower in der Küche, die am Abend Gerichte für bis zu 85 Gäste zubereitet.

Fazit

Neuanstrich: Arne Anker und sein Team haben die gustatorische Schlagzahl deutlich erhöht und zeigen, wie feinteilig, abgestimmt und charakterstark die Küche des Pauly Saals sein kann, der jetzt schon zu unserem liebsten Lunch-Restaurant der Hauptstadt avanciert ist.

Wein

Wein im Restaurant Pauly Saal in Berlin

2011 Porcellànic Brut Natural Sparkling Wine, Ton Rimbau, Penes

Ninki-Ichi Sparkling Sake „Natural“, Junmai Ginjo Sparkling, Japan

2013 Sauvignon Blanc Fumé, Weedenbornhof, Rheinhessen

2013 Garnacha Blanca, Venta D'Aubert, Bajo Arragon

2002 Grüner Veltliner Greiner, Hans Nittnaus, Burgenland

2014 L'Anglore Tavel, Eric Pfifferling, Rhone

2006 Riesling Bischofsberg, Johannes Leitz, Rheingau

2014 Weißburgunder, Lichtenberger & Gonzalez, Burgenland

2012 Peña Caballero, Bodega Maranones, Madrid

2007 Riesling Auslese Erdener Treppchen, Dr. Loosen, Mosel

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Florian Seufer-Wasserthal

1. Anzahl der Positionen
1000 Positionen

2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Schwerpunkt ist ganz stark Österreich, Deutschland und Frankreich. Ich suche immer nach spannenden Weinen, Regionen spielen da eine kleinere Rolle. Natürlich ist es auch mein Ziel, eine schöne Jahrgangstiefe zu erreichen, dies ist bei bis zu 85 Pax täglich aber nicht einfach.

3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Am preiswertesten: 2014 Grüner Veltliner Federspiel, Stein am Rain, Wachau für 38 Euro
Am teuersten: 1999 Château Lafite-Rothschild, Pauillac für 1750 Euro 

4. Die ungewöhnlichste Rarität? 
Da der Begriff Rarität auch für Sammlerstücke steht, trifft das bei uns im Haus vor allem auf Kunst zu.                  

5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
2013 Muschelkalk weiß (Grüner Veltliner, Weißburgunder, Welschriesling), Lichtenberger & Gonzalez, Burgenland

6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Parisy Rosé, Emmanuel Reynaud (Besitzer Château Rayas), kein Jahrgang, Vin de France, einfach schön zu trinken, ohne viel nachzudenken zu müssen.

7. Ihr Lieblingswein?
Alles, was Spaß macht  

8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden? 
Ein Gast bestellte sich zum Meursault von Roulot flüssige Zitrone und Eiswürfel

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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